Was geschah mit Bus 670?

Feb 14, 2022
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Immer wieder begeistern kleine, ausländische Independent-Produktionen das internationale Publikum und dringen bis zu uns nach Deutschland vor. So ein Film ist auch Was geschah mit Bus 670?. Das Drama und sundance Filmfestivalliebling aus dem Jahr 2020 von Fernanda Valadez erscheint nun am 10. Februar 2022 in den deutschen Kinos.

MFA+Filmdistribution

Die Handlung

Die Überquerung der Mexikanisch-Amerikanischen Grenze gehört zu den gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Jedes Jahr begeben sich tausende Menschen in Hoffnung auf ein besseres Leben trotzdem auf den beschwerlichen und riskanten Weg durch die Wüste und Grenzregion. So auch Teenager Jesús (Juan Jesús Varela) und ein Freund. Beide wollen es gemeinsam unbedingt in die USA schaffen, und ihrer von alltäglicher Gewalt und Armut geprägten Heimat in Zentral-Mexiko entfliehen.

Hierfür nehmen sie den Bus 670, der sie zur US-amerikanischen Grenze bringen soll. Vier Monate später findet man die Leiche von Jesús‘ Freund, während vom anderen Teenager jegliche Spur fehlt. Seine Mutter Magdalena (Mercedes Hernández) will jedoch die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihr Sohn noch am Leben und irgendwo da draußen ist. Die Reise in das nördlich gelegene mexikanische Hinterland ist voller Gefahren, doch entgegen aller Warnungen zieht die verzweifelte Frau trotzdem los. Auf der Suche nach ihrem Sohn trifft sie immer mehr Menschen, die ihr Schicksal und das ihres verlorenen Kindes teilen. Während sie der Wahrheit um den Verbleib ihres Sohnes immer näher kommt, erkennt sie, dass Jesús‘ Schicksal kein Einzelfall ist.

Eine Abrechnung mit dem mexikanischen Staat

Beim Sundance Film Festival, dem einflussreichsten Filmfestival für Independent Cinema, wurde Identifying Features, so der internationale Titel des Films, mit dem Publikumspreis und dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Dass die Regisseurin Fernanda Valadez mit dem Film ihr Langspielfilmdebüt feiert, macht das ganze umso bemerkenswerter. Zeigt sie doch mit Was geschah mit Bus 670? auf schonungslose und abrechnende Art und Weise eine Geschichte, die sich täglich so und ähnlich im von Flucht, Drogenkriegen und Korruption geplagtem Mexiko abspielt. Kein leichter Film über kein leichtes Thema, das die Herausforderung aber annimmt und sich ihr mehr als gewachsen zeigt.

Das Grundthema von Was geschah mit Bus 670? ist die Flucht und all das Leid, die persönlichen Schicksale und die Tragik, die damit einhergeht. Sehen tun wir das im Film aus verschiedenen Perspektiven. Da wäre Miguel, der in der Hoffnung ein besseres Leben versucht in die USA zu gelangen und stellvertretend für so viele Jugendliche, auch Jesús, steht, die sich auf dieselbe gefährliche Flucht begeben. Jesús Mutter Magdalena, die verzweifelt im Norden Mexikos nach ihrem Sohn sucht und ans Aufgeben noch nicht mal denkt. Sowie diverse Wegbegleiter der Beiden und Institutionen wie Anlaufstellen für Suchende und Polizeistationen, die sich mal mehr mal weniger als hilfreich herausstellen. Das institutionelle Versagen der im Film zu sehenden Behörden, was vor allem auf der Odyssee von Magdalena deutlich wird, führt nur zu einer Vergrößerung des Leids. Nur von einigen wenigen, wie einer unbekannten Frau auf der Toilette oder einem Obdachlosenheim-Mitarbeiter, bekommt Magdalena Hilfe oder eine Auskunft und so dringende Antworten auf den möglichen Verbleib des Busses, in dem ihr Sohn gesessen haben könnte. Meist sieht man die Fremden nicht einmal wirklich, denn der Fokus liegt viel mehr auf ihren Worten, die die verzweifelte Mutter weiterbringen könnten und auf Magdalenas von Trauer und Erschöpfung gezeichnetem Gesicht, von dem sich die Kamera nur selten abwendet und so jeder Dialogszene eine enorme Tiefe und Intensität verleiht.

Auch die zugrunde liegende, für die Flucht mitverantwortliche und stets präsente Gewalt der Drogenkartelle wird angesprochen und durchaus kraftvoll und brutal verarbeitet. Das zentrale Element der Flucht und menschlichen Schicksale verliert der Film allerdings nie aus den Augen. Als Miguel und Magdalena in der Mitte des Films aufeinandertreffen und sich auf der Suche nach ihren Liebsten zusammenschließen, fällt ein Satz, der exemplarisch für den ganzen Film und seine Botschaft steht. „Von hinten siehst du fast aus wie er“. „Von hinten sehen wir alle gleich aus“ Das hier gezeigte Einzelschicksal, passiert tagtäglich in ganz Mexiko und auf der ganzen Welt. Was geschah mit Bus 670? wirft auf diese humanitäre Katastrophe, ein dringend nötiges Licht in einer cinematografisch eindrucksvollen, anklagenden, aber dennoch gefassten und Art und Weise.

Durch Magdalenas Augen sehen wir, was Menschen in Mexiko auf der Suche nach ihren verschwundenen und von der Politik vergessenen Angehörigen alles durchmachen müssen.

Bewegender und schonungsloser Einblick

Trotz des schwierigen, ernsten Themas, schafft es Was geschah mit Bus 670? auch immer wieder durch geniale und einfach wunderschöne Kameraeinstellungen und Bilder der mexikanischen Landschaft und Natur, weit weg vom stereotypischen „Hollywood-Orangefilter“, den Zuschauer ins hoffnungsvolle Staunen zu versetzen. Auch in der Trauer gibt es Schönheit und Stärke und nicht nur Elend. Beides vermischt Valadez und ihre Kamerafrau Claudia Becerril Bulos zu einer Filmästhetik, die ihresgleichen sucht und bei all der Schwere und Ernsthaftigkeit der Handlung, nie ins komplett hoffnungslose oder noch schlimmer, in voyeuristische Elendsdarstellungen abdriftet. Jedes Bild, jeder Dialog und jede der vielen hervorragenden Nahaufnahmen der Hauptfigur Magdalena, großartig gespielt von Mercedes Hernández, strahlen eine Würde, Gefasstheit und mentale Stärke und Willenskraft sondergleichen aus.

Der naturalistische Ansatz der Inszenierung, ist für so einen Film mit einem so wichtigen Thema und dazu passendem gelungenen Drehbuch, perfekt gewählt. Durch diese kommt gewissermaßen auch der ganze Schmerz und der Trotz einer ganzen Nation und Generation zum Ausdruck sowie die harte, aber überlebenswichtige Gesinnung, selbst in den schlimmsten Zeiten, nicht aufzugeben und nicht aufhören zu kämpfen, zu hoffen, zu suchen und für die Dinge einzustehen, die einem wichtig sind. Und obwohl man nach dem schwer zu schluckendem Ende erschüttert zurückbleibt, hinterlässt der in seiner Handlung durchgehend konsequente Film auch ein berührendes Gefühl voller Aufopferung.

Die Frage „Was geschah mit Bus 670?“ kann man schlussendlich nach dem Sichten dieses gelungenen Dramas noch für hunderte und tausende weitere, ähnliche Schicksale aufwerfen, mit wenig Hoffnung in der Realität eine optimistischere Antwort zu bekommen, als die, die der Film versucht zu geben. Doch hat man durch ein verändertes Bewusstsein, die Probleme eines Landes und das Denken vieler seiner Bürger nun zumindest etwas besser verstehen und nachempfinden zu können, als durch so viele filmische und mediale Darstellungen in der Vergangenheit, in jedem Fall außergewöhnliche und prägende 99 Minuten erlebt. Ein Film, der traurig und wütend macht, viel zu oft überschautes menschliches Leid thematisiert und nicht davor zurückschreckt, die „Happy-Ending-Formel“ zu durchbrechen und genau deswegen so wertvoll, lehrreich und berührend ist.

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