Stasikomödie Kritik

Mai 20, 2022
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Stasikomödie. Ein Name mit einem Paradox in sich. Wie kann der sadistische Überwachungsapparat der DDR auch nur ansatzweise für einen witzigen Film herhalten? Überraschenderweise, viel Fingerspitzengefühl und Vertragen von schwarzem Humor von Seiten der Zuschauer vorausgesetzt, erstaunlich gut. Leander Haußmanns neuster Film und Abschluss der DDR-Trilogie, die er zuvor 1999 mit Sonnenallee begonnen und 2005 mit NVA fortgeführt hat, endet mit Stasikomödie bittersüß und hinterlässt ein Erbe guter deutscher unterhaltsamer Komödien, die beweisen, dass es nicht immer zum Fremdschämen sein muss.

Ab dem 19. Mai 2022 startet Stasikomödie von Constantin Film in den deutschen Kinos und bietet kluge, bissige Sommer-Komödien-Unterhaltung. Eine Vorankündigungs-News mit der Zusammenfassung der Handlung und Hintergrundinfos findet ihr hier.

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Eine Zeitreise in das ostalgische Prenzlauer Berg

Stasikomödie hat dabei gleich zwei Protagonisten. Mit Ludger Fuchs (Jörg Schüttauf und David Kross) einen herkömmlichen, aus dessen Perspektive und in zwei Zeitebenen, der Gegenwart und den 1980er Jahren, wir die Handlung erleben. Und einen ungewöhnlichen, aber ebenso wichtigen, mit dem Stadtteil Prenzlauer Berg, wo der Hauptteil der Geschichte spielt. Von einer rebellischen, künstlerischen und freiheitsliebenden Bohème bevölkert, gilt sie der Staatssicherheit natürlich als ein Dorn im Auge des Berliner Ostens. Ludgar Fuchs wird dabei vom hochrangigen Offizier der Geheimpolizei höchstpersönlich rekrutiert, ausgebildet und mit dem Auftrag versehen, die Prenzlauer Berg Szene „zu beobachten, zu infiltrieren und zu zersetzen“.

Die witzigsten Szenen, die beinah schon an Slapstick erinnern, gibt es mit der chaotischen Stasi-Truppe von Ludgars Kollegen. Die herrlich irrwitzige Inkompetenz, die die akribischen Perfektionismus-Versuche nicht tarnen können, werfen einen satirischen Blick auf den eigentlich so methodisch gnadenlos agierenden und finsteren Sicherheitsapparat der ehemaligen DDR.

Trotz des Titels des Films, ist die Stasi dabei aber nie zentrales Element des Films, sondern eher Mittel zum Zweck für bestimmte Konflikte sowie Ausdruck für die innere Zerrissenheit von Ludgar. Hauptaugenmerk liegt die ganze Zeit auf dem Beziehungsgeflecht des Protagonisten. Seinen Versuch, Scheitern und Gelingen, sich in der Szene zu Recht zu finden und sein kompliziertes Liebesleben auf die Reihe zu bekommen. Etwas wozu die in der Gegenwart spielende Handlung mehrfach verweist und was erst Auslöser für Ludgars Zurückerinnern ist. Gleichzeitig versucht er aber auch zu seinem Vorgesetzten, der so etwas wie eine Vater-Figur für Ludgar wird, die Loyalität zu wahren und ihn nicht zu enttäuschen. In vielen Szenen erinnert Stasikomödie deshalb auch in gewisser Weise an einen Coming-of-Age-Film. Ein Charakter, der sich am Scheideweg befindet und vor dem sich viele Pfade offenbaren, von denen er den für sich richtigen erst noch finden muss. Auf dem Weg dahin, entstehen natürlich so einige Konfrontationen, Konflikte und Dramen, die stets gelungen und unterhaltsam inszeniert werden und dem Zuschauer nicht nur den Hauptprotagonisten, sondern nahezu alle Charaktere umso sympathischer, und nahbarer werden lassen.

Leander Haußmanns Handschrift perfektioniert

Handwerklich lässt sich an Leander Haußmanns satirisch angehauchter Komödie wenig rummeckern. Der Fokus liegt stets auf der sehr persönlichen Geschichte des Hauptprotagonisten, die gesamte Handlung wird von seinen Entscheidungen, Zweifeln, Ängsten und Plänen vorangetrieben, auch wenn er sich selbst mal im Wirbelwind dieser verliert. Weder die Musik noch Kameraarbeit drängt sich während der 115 schnell vorbeifliegenden Minuten Laufzeit störend oder ablenkend in den Vordergrund. Begleitend und umrahmend sind hier Sound und Inszenierung, was den Charakteren und dem historischen Ost-Setting viel Platz zum Entwickeln gibt. Selbst wer keine verklärten oder tragischen Ost-Deutsche-Erinnerungen hat, wird viele der Anspielungen und Versatzstücke auf die DDR-Kultur verstehen. Und zum Glück macht es sich Leander Haußmann auch in Stasikomödie nicht zu leicht und platziert einfach plump in jedes Bild eine Flasche Rotkäppchen Sekt und ein Glas Spreewaldgurken. Nein, die Lebensweise, Realität, Mentalität und vor allem die damalige Gegenkultur und Szene werden äußerst geschmackvoll, wahrheitsgetreu, wenn auch zuweilen überspitzt und humoristisch dargestellt.

Als alter Ego- und geheime Stasiidentität sucht sich unser Held die Rolle des Autors aus. In dieser fühlt er sich bald so wohl, dass er sie komplett übernimmt und tatsächlich an einem späteren Bestseller arbeitet, der ihm auch in seiner Prenzlauer Berg Clique und der Damenwelt viel Ruhm einbringt.

So wird aus Stasikomödie ein Film, der das Beste aus mehreren Genres nimmt und sie zu einem hervorragenden deutschen Film, der nicht wie von der Stange daherkommt, kombiniert. Romantische Komödie, Sozialdrama, Ostalgie-Flair verströmender Historienfilm und manchmal sogar scherzhafter Thriller. Viele Elemente lassen sich in Stasikomödie finden, doch im Kern ist es eine Geschichte über die wilden und aufregenden Jahre eines jungen Mannes, seine Erfahrungen und die Menschen in seinem Umkreis, die er beeinflusst hat oder die ihn geprägt haben.

Eine Geschichte mitten aus dem Leben, könnte man sagen, die durch die Gegenwartsebene nochmal in einen größeren Zusammenhang gesetzt wird. Schließlich gibt die Einsicht von Ludgar in seine alte Stasiakte den Antrieb für die Handlung und ein mysteriöser Brief einer Geliebten schlägt die Brücke zwischen damals und heute. Am Ende kommt alles, fast schon theatralisch, zusammen. Ein Happy End mit Musical-Einlage im Prenzlauer Berg und ein überraschender Twist im Berlin von heute, der alles nochmal zusammenfügt und den ganzen Film nochmals runder macht.

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