Diesen Donnerstag erschien mit The Northman ein Film, von dessen Sorte heutzutage nur noch wenige gemacht werden. Eine „Mid-Budget-Produktion“, die Arthaus- und Blockbusterkino ineinander vereint und trotz einiger bekannter Genreklischees eine mitreißende Wikinger-Saga unbekannten Ausmaßes auf der großen Leinwand abliefert.

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Robbert Eggers Vision eines Wikinger-Epos

Mit The Northman zelebriert Robbert Eggers seinen ganz eigenen Stil und erschafft einen düsteren Rache-Epos, der sich nah an der literarischen Vorlage hält und eine bildgewaltige Wikinger-Vision bietet, gegen die Netflix Vikings wie eine Kinderserie wirkt.

Wer die bisherigen Filme von Eggers, The VVitch und The Lighthouse kennt, oder auch Studio A24s Green Knight etwas abgewinnen konnte, weiß, was er zu erwarten hat und kriegt genau das und noch mehr. Wer einen Abenteuerfilm mit Wikinger-Karikaturen erwartet, wird entweder enttäuscht, oder bekommt ein erinnerungswürdiges, horizonterweiterndes Spektakel geboten, dass seine Sicht auf Filme im historischen Setting für immer verändern dürfte.

The Northman ist ein brutaler Action-Film, ein poetisches Familiendrama, ein Horrorfilm und das alles gleichzeitig. Dass die in Kapiteln gegliederten Teile des Films, so unterschiedlich sie auch teilweise sind, so gut zusammenpassen, harmonieren, sich ergänzen und einen Film bilden, der einen wie ein Fiebertraum einnimmt und nicht mehr loslässt, ist neben der visionären Umsetzung des Regisseurs, auch dem grandiosen Cast sowie den technischen Facetten der Produktion zu verdanken.

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Technisch herausragend, schauspielerisch zweckmäßig

Die isländische Kulisse, in der die Haupthandlung des Films passiert, ist beeindruckend, von wilder, abgelegener Schönheit und makabrer Idylle geprägt. Meisterlich eingefangen durch die Kameraarbeit von Jarin Blaschke. Jedes Bild, jede Landschaftsaufnahme oder Kampfchoreografie, ist hier einzigartig und von Liebe zum Detail und praktischen Effekten gekennzeichnet. Dazu perfekt passen auch die ikonischen Licht- und Schatteneinstellungen von Robbert Eggers. Vor allem die dunklen, von Türrahmen und Schatten umrandeten Figuren-Silhouetten von Eggers, sind ein Augenschmaus, an denen man sich kaum satt sehen kann. Die bereits in den Trailern als „Highlight“ vermarktete Plansequenz des Überfalls auf ein slavisches Dorf im ersten Drittel des Films ist grandios gedreht und ertappt den nach Action-dürstenden Zuschauer dabei, wie ihm bei der gezeigten Brutalität und Gewalt an Unschuldigen, ein schweres Schlucken im Halse stecken bleibt. Spätestens hier zeigt sich, The Northman ist kein Popcorn-Kino wie man es vielleicht zuerst erwartet hat. Den unterhaltsamen Mehrwert zeiht man hier aus anderen Dingen. Hier bleibt der Regisseur seinem Stil treu, doch passt es zur Geschichte ebenso gut wie bei seinen vorhergehenden Filmen.

Der von Robin Carolan und Sebastian Gainsborough komponierte Soundtrack zum Film untermalt das Geschehen wuchtig und versetzt einen ab er ersten Minute in diese archaische nordische Welt des 10. Jahrhunderts. Fans von Rock-, Metal- und Pagan Folk Klängen werden sich bei altnordischen tiefen Bass-Gesängen, Trommeln- und Streicheinlagen wie zu Hause fühlen. Die Musik ist hier nicht nur reine Nebensächlichkeit, die Szenen untermalt und uns sagt, wie wir uns in dem oder jenem Moment fühlen sollen. Vielleicht noch mehr als die Bilder, reißt sie uns mitten ins Geschehen und in die dunkle, mystische archaische Wikinger-Welt.

Doch ist The Northman auch ein Film, der insbesondere von seinen Charakteren und somit von seinen Darstellern getragen wird. Alexander Skarsgård als der verbannte Prinz Amleth auf der Suche nach seinem Schicksal ist hier mehr als perfekt gewählt und überzeugt in allen Aspekten. Körperlich als rasender, muskelbepackter halbnackter Berserker und charakterlich als listenreicher, Rache getriebener Dämon seiner Feinde. Leider reicht die Spannbreite seiner stets im finsteren Blick zu erkennenden Emotionen dadurch nicht über tiefes Leid und unsäglichen Wut hinaus. Mitfühlen können wir trotzdem mit ihm. Denn die sich hier entspinnende Geschichte, cinematografisch grandios inszeniert, ist eine, die wir zwar schon hundertmal gelesen, gehört oder gesehen haben, doch ebenso wie von der klassischen Heldenreise à la Star Wars und Harry Potter, geht von einem gnadenlosen Racheepos, was The Northman zu jeder Zeit ist, immer eine unglaubliche Faszination aus.

Anya Taylor-Joy als die verschleppte Slavin Olga, die Amleth erst zu seiner wahren Bestimmung hinführt und ihn während seiner Mission, den Tod seines Vaters zu rächen, unterstützt, steht leider zu wenig im Vordergrund, um wirklich zu brillieren. Doch wenn sie zu sehen ist, verleiht sie Amleths Charakter eine bitter nötige Prise Menschlichkeit und Hoffnung und verkörpert ihre mysteriöse und starke Frauen-Rolle tadellos. Ihre romantische Beziehung zu Amleth ist eine der wenigen „freudigen“ Aspekte des Films.

Nur gemeinsam können Amleth und Olga an ihren Peinigern Rache üben und entkommen.

Nur von Willem Dafoe, Nicole Kidman und Ethan Hawke hätte man gern mehr gesehen. Ihre kurzen, dafür aber umso erinnerungswürdigen Auftritte dienen lediglich als Wegbereiter für Amleths Reise, Entwicklung und Schicksal.

Literarische Vorlage als treibende Kraft einer vorhersehbaren Story

Wenn man einen Kritikpunkt an The Northman finden möchte, dann wäre es höchstens, dass Teile der Handlung zu konstruiert wirken könnten und zum Teile etwas vorhersehbar sind. Doch ist dies vor allem der literarischen Vorlage (an die sich nur grob gehalten wurde) der Amletus-Sage, die gleichzeitig auch als Vorlage für Shakespeares Hamlet diente, die die Geschichte, ihren Handlungsvorlauf und die Motive der Charaktere vorgibt, geschuldet. Dokumentarischen Realismus gibt es hier höchstens bei der Darstellung der Sets und Kostüme. Authentizität versprüht der Film aber zu jeder Minute, auch durch hervorragenden Einsatz altnordischer Sprache, Musik und Bräuche, die es während der gesamten 140 Minuten Laufzeit ständig zu sehen gibt. Die nordische Mythologie, der zum Leben erwachte Aberglaube der Menschen ist hier nicht nur schmückendes Beiwerk wie bei so vielen multimedialen Erzeugnissen dieser Zeit, in der das Wikinger-Setting so „trendy“ wie nie zuvor ist, sondern die Seele des Films, zu der er stets die Treue hält. Dabei driftet The Northman nie ins Fantasy- oder „Mittelaltermarkt-Genre“ ab, nicht mal annähernd. Die nordische Götterwelt, ihre Mythen und Sagen werden hier glaubwürdig und respektvoll als Teil der Kultur der Menschen dargestellt und gezeigt, so wie diese es damals (nach unseren heutigen Erkenntnissen) selbstverständlich praktiziert haben.

Weissagungen, Mysterien, Götter und Schicksalsfäden spielen in The Northman eine große Rolle. Die isländische Musikerin Björk verkörpert im Film als die Seherin diese Aspekte der nordischen Mythologie.

Ebenso herausragend in diesem Zusammenhang ist auch, dass The Northman weder seine Charaktere noch seine Geschichte, trotz der fiktionalen Vorlage, unnötig glorifiziert oder romantisiert. Es ist eine düstere, brutale Welt, die ihren eigenen archaischen Gesetzen folgt. Die Grenzen zwischen Held und Bösewicht, Wahrheit und Lüge, Liebe und Verachtung verschwinden hier genauso schnell wie Amleths kindliche Unschuld. Zurück bleibt eine schmutzige, brutale Vision eines Wikinger-Epos. Dem mit unseren heutigen moralischen Maßstäben und zivilisatorischen Standards zu begegnen, wäre fahrlässig. Das tut der Film nicht und das sollte man als Zuschauer ebenfalls nicht, auch um ihn vollends genießen und verstehen zu können.

Brudermörder Fjölnir (Claes Bang). Zu Anfang ein klassischer Schurke. Zum Schluss beinah eine tragische Figur.

Und trotzdem muss man sagen, dass es sich hier immer noch um die lose Adaption einer überlieferten, altdänischen Sage handelt. So wie heute moderne Geschichten ausgeschmückt werden, der Fantasie freien Lauf gelassen wird, so wurde es auch damals getan. Und wenn das große Finale des Films ein epischer Zweikampf an den Hängen eines ausbrechenden Vulkans ist, die Dialoge wie in Versen gesprochen wirken und der Ablauf der Handlung an eine griechische Tragödie erinnert, es für unser Empfinden zu theatralisch und wirklichkeitsfremd wirkt, dann genau deshalb, weil die Inszenierung es so verlangt, um die altbekannte Geschichte aufzupeppen und ein würdiges Finale zu bieten. Und natürlich, weil es die Kernessenz eines Epos ausmacht, was The Northman durch und durch ist und was Robert Eggers hier so gelungen bild- und wortgewaltig eingefangen hat.

Fazit

Wie bei Amleth, werden durch den musikalischen Einsatz und die wuchtige Inszenierung auch beim Zuschauern animalische Instinkte geweckt.

The Northman fordert, und das nicht zu wenig. Sich auf die überlange epische Wikinger-Saga einzulassen, den Verlauf der Handlung durch die Augen ihrer Protagonisten zu erleben und somit deren Visionen, ihren Glauben, ihre Ängste, als Teil ihrer Realität zu verstehen. Damit setzen Robert Eggers und Alexander Skarsgård auch gleichzeitig einen neuen Standard für detailgetreue, authentische, fordernde erwachsene Historien-Filme. Comic-Reliefs, Meta-Kommentare oder sonstige Albernheiten sucht man hier vergebens. The Northman ist eine Met-ernste Tragödie, bei der es keine „Guten und Schlechten“ Charaktere gibt. Ebenso wie die Szenebilder und Einstellungen ist die Moral hier sehr grau, düster, kontrastreich, ja fast schon nihilistisch. Spätestens als unser vermeintlicher „Held“ der Geschichte bei einem von ihm angeführten Angriff auf eine Siedlung der Rus zahllose Bewohner im Berserker-Rausch abschlachtet, wird klar, hier hat jeder Dreck am Stecken und das idealistische Gute gibt es nicht. Ein klassisches Happy End wäre da natürlich Fehl am Platz, stattdessen hinterlässt uns der Abspann mit einer katharsischen Erkenntnis. Wenn es um Rache geht, verliert jeder.

Wenn man sich auf den unkonventionellen Ansatz eine konventionelle Rachegeschichte zu erzählen einlässt, erwartet einen ein unvergleichbares audiovisuelles Schauspiel mit tollen Momentaufnahmen, einem Cast, der kaum besser gewählt werden könnte und einem wilden Walkürenritt durch eine gradlinige, tragische, brutale und mystische Wikinger-Rachegeschichte.

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